
WAS ICH AN DER SCHWEIZ SO MAG Die Schweiz ist seit über 20 Jahren meine Wahlheimat. Zeit für eine kleine Hommage an dieses ganz besondere Land im Herzen Europas und seine Leute. Um es vorweg zu nehmen – ich will gar nicht versuchen, witzig zu sein. Das sollen all jene machen, die auf Instagram die Besonderheiten und Unterschiede zu den Deutschen sehr lustig und gekonnt in Szene setzen. Nein, ich glaube, mein Beitrag wird anhand von ein paar wenigen Beispielen, eine echte Liebeserklärung.
Es gab über viele Jahre eine Zeit, da hatte ich unerträgliches Fernweh. Ich wollte immer in den Süden Europas. Als ich diesem Bedürfnis, wenngleich aus traurigem Anlass nachgab und es mich für eine kurze Zeit nach Ancona in Italien, in eine traumhaft schöne Region verschlug, bekam ich das erste Mal in meinem Leben richtig Heimweh und wollte wieder zurück, nach Hause. Und das war die Schweiz. Genau gesagt die Schweizer Grenzregion am Bodensee.
In der Schweiz ticken die Uhren anders
Dieser Satz ist gemeinhin bekannt und wird in der Regel gerne dann verwendet, wenn man die vermeintliche Langsamkeit der Schweizer andeuten will. Ich erlebe diese nach Schweizer Art tickende Uhr im Alltag z.B. so: Ich gehe zum poschte (einkaufen) und stehe in der Migros an der Kasse. Das ist der grösste Schweizer Detailhändler (in Deutschland ist das der Einzelhandel). Vor mir sind 5 Personen in der Warteschlange. Ganz zuvorderst steht eine ältere Dame und sie und die Kassiererin plaudern miteinander. Die Ware ist längst abgescannt. Die Kassiererin nennt den Preis und die Dame sucht ihr Portemonnaie in der Handtasche. Zuerst reicht sie die Migros-Kundenkarte und dann zählt sie das Geld heraus. Es wird noch ein letzter freundliche Satz gewechselt und man wünscht sich einen schönen Tag. A schöös Däägli no. Und die Dame schenkt ebenfalls allen Wartenden einen freundlichen Blick und verabschiedet sich. Manchmal kommt dann noch eine kleine Entschuldigung doch man lächelt ihr wohl gesonnen zu. Das ist übertrieben? Keinesfalls. Das ist hier üblich.
Warum erzähle ich das so detailverliebt? Weil ich es einfach bemerkenswert finde. Ich liebe es, in welcher Ruhe und Gelassenheit das jedes Mal abläuft. Ich habe noch niemals!! in über 20 Jahren erlebt, dass sich irgend jemand in der Warteschlange beschwert hätte. Nicht mal Handwerker, die in ihrer Mittagspause schnell ihr Essen zahlen wollen, würden ausrufen, ob es da vorne jetzt mal weiter geht. Ausser – es steht ein Deutscher Tourist in der Schlange. In solchen Momenten bin ich dann froh, wenn ich an der Kasse zahle, dass ich doch die Schweizer Mundart soweit beherrsche, dass ich nicht als Deutsche auffalle. Das ist nur ein kleines Beispiel und meine Definition der Schweizer Uhr, die völlig anders tickt, als im hektischen Nachbarland.
Viele Deutsche glauben, die Schweiz sei im Grunde wie Deutschland, denn immerhin spricht man ja die gleiche Sprache, zumindest im deutschsprachigen Raum, der Ost- und Zentralschweiz. Doch weit gefehlt. Die Schweizer Kultur und Mentalität unterscheidet sich deutlich und es gelten teils völlig andere Regeln sowohl seitens bürokratischer Vorgaben, als auch des Miteinanders und der Kommunikation. Das ist dann häufig auch die Ursache, weshalb so mancher Deutscher hier unangenehm auffällt oder umgekehrt, Deutsche Auswanderer, die hier ihr berufliches Glück suchten, ernüchtert zurück in die Heimat gehen, weil sie mit Vielem hier nicht klar kommen.
Schweizer SBB versus Deutsche Bahn
Denkt man an die Schweiz, denkt man an pünktlich kommende, saubere Züge und zu fast 100% freundliche Fahrkartenkontrolleure und Lokführer. Doch es gibt da noch etwas, das ich jedes Mal aufs Neue mit Freude beobachte. Eigentlich ist es wie eine Choreographie. Der Zug fährt ein. Die Wartenden auf dem Bahnsteig positionieren sich völlig stressfrei jeweils rechts und links, von den sich nun öffnenden Türen und zwar in einem gebührenden Abstand, sodass die Aussteigenden selbst mit einem Velo (Fahrrad), Rollstuhl, Kinderwagen, Hund ganz in Ruhe aussteigen können. Und was jetzt passiert, dass liebe ich: steht man als Erster an der Tür, so schaut man erst noch in den Fahrgastraum, ob noch jemand kommt und dann tritt man ein. Das erlebt man hier sehr selten, das jemand schon hineindrückt, wenn Fahrgäste noch aussteigen. Das ist aber noch nicht alles. Sollte man beim Warten zuvor an jemanden neben sich gestossen sein und zwar lediglich mit einer kaum wahrnehmbaren Touchierung der Tasche, so entschuldigt man sich und sagt: „Oh, Exgüsi“, abgeleitet aus dem Französischen von Excuse moi. Und als Antwort kommt: „Scho guat, keis (kein) Problem.“ Man ist also stets höflich.
Ich steige ab meiner Haltestelle in einen leeren Zug. Kommt noch jemand dazu, so werde ich bei 6 von 10 Fällen gefragt, ob der Platz dort noch fei sei. Was im Grunde völlig ersichtlich ist. Dennoch fragt man und / oder man grüsst sich. Es ist eine kurze, vorübergehende Kontaktaufnahme, die das Unpersönliche mit dieser kleinen Geste wegwischt. Der nächste Moment ist, wenn der Lokführer den Zug betritt. Da ich oft und gerne im Wagon des Zugführers sitze, bekomme ich immer eine freundliche Begrüssung. Im Übrigen machen das auch die meisten Busfahrer, inklusive Verabschiedung. Zumindest ist das in Kreuzlingen so. Bitte – man steigt aus und der Busfahrer wünscht einen schönen Tag. Ich finde das toll und ich wohne nicht auf dem Dorf. Apropos Busfahrer. Ich musste mit ansehen, wie der Konstanzer Bus (in der Grenzregion fahren die Öffentlichen über die Grenze) eine rennende alte Dame, die fast schon an der Tür war, stehen liess. Umgekehrt die Schweizer Chauffeure (Busfahrer). Schon mal gesehen, dass ein bereits 10 Meter rollender Bus nochmals anhält und einen rennenden Fahrgast aufnimmt? …
Wenn Du spazieren gehst
In den Grossstädten der Schweiz wird das sicher auch nicht passieren aber Kreuzlingen hat mit allen Gemeinden immerhin über 22’000 Einwohner. Wenn Du nicht gerade auf der Haupteinkaufsstrasse läufst, ist es üblich, sich mit einem freundlichen Grüezi / Grüezi mitenand zu begrüssen. Selbst auf Feldwegen oder im Wald – man grüsst sich. Falls ich es noch nicht erwähnt hatte – ich mag das.
Ich werde hier ganz sicher immer wieder ergänzen und erzählen. Doch für den Moment soll es das gewesen sein. Falls auch Du besondere Erfahrungen in und mit der Schweiz gemacht hast, freue ich mich, wenn Du einen Kommentar hinterlässt.
4 Kommentare für “Was ich an der Schweiz so mag”
Edith
Liebe Christiane,
So schön, wie du die Sitation in der Migros und in den Zügen beschreibst. Genau diese Höflichkeit und all die kleinen aber feinen Begegnungen liebe ich auch so sehr. Ich hoffe, dass wir uns das auch in den immer hektisch werdenden Zeiten bewahren können. Danke für diese angefangene Liebeserklärung, ich hoffe sie geht bald weiter :).
Grüessli,
Edith
Christiane Schleiffer
Liebe Edith
Das ist schön, dass Dir als Autorin mein Blogbeitrag gefällt. Das ist ein besonderes Kompliment.
Und ich habe schon wieder ein paar Ideen, was ich noch erzählen kann.
Ein herzliches Grüessli
Christiane
Bea Del Conte
Hi Christiane
Ich überfliege heute Nachmittag drei Dutzend Blogbeiträge aus der „10 Blogartikel in 10 Tagen“-Challenge und bin „nur“ stille Mitleserin in Judith Peters‘ Newsletter.
Bei Deinem Artikel bin ich als Schweizerin natürlich hängen geblieben und habe mir jedes einzelne Wort in Deinem Beitrag genüsslich zu Gemüte geführt! Inklusive aller korrekt wiedergegebenen Schwizerdütsch-Wörtern… Ich war mir gar nicht bewusst, dass wir alle (?) an der Migroskasse so geduldig, höflich und freundlich sind… Denn ich, in einer langen Warteschlange vor der Kasse der Migros stehend, könnte innerlich jedesmal platzen, wenn zuvorderst eine trödelnde Alte (die den ganzen Tag Zeit hat!) in aller Seelenherrgottsruhe ihr Münz rauskramt und mit der Kassierin, deren achtsame Gelassenheit mich schon auf hundert bringt, noch zwei Worte zuviel wechselt ;-))
Dennoch hast Du recht – wir sind ein Volk, das gelernt hat, auf den Nächsten zu schauen. Vielleicht, weil wir so wenige sind, im Vergleich zur Weite Deutschands. Manchmal schauen wir auch zuviel – oder stört Dich das nicht, liebe Christiane, wenn Du eine Poststelle oder eine Seilbahn betrittst und alle, die dort warten, Dich angucken?!
OK, das gehört dann halt eher zu den negativen Eigenschaften von uns Schweizern. Jedenfalls danke ich Dir herzlich für Dein nettes Plädoyer – und werde das nächstemal, wenn hinter mir in der Warteschlange ein Deutscher lauthals mit seinem Handy schnäderet (spricht), grosszügig darüber hinwegsehen…
Liebi Grüessli, Beatrice
Christiane Schleiffer
Hoi liebe Beatrice
Danke für Deinen tollen Kommentar, den ich genauso genüsslich und mit Freude gelesen habe. Und es ist ein grosses Kompliment, wenn Du mir die korrekte Wiedergabe der Schwizerdütschen Worte attestiert. Das kann auch schnell daneben gehen. Das, was Du beschreibst, vermute ich schon auch bei einigen der Wartenden an der Kasse. Doch keiner bringt es zum Ausdruck und „spoizt“ es mit Worten aus. Und das macht das Miteinander in solchen Situationen einfach angenehmer, weil stressfreier. Und natürlich erlebe auch ich Verhaltensweisen, die mich nicht selten fassungslos machen. Einiges davon habe ich in meinem Jahresrückblick 2022 verarbeitet. Und das mit dem Starren, da musste ich so lachen…. Du hast recht, das ist schon auch auffällig. Doch es war mir einfach danach, bewusst einen liebevollen Blick auf so manche Schweizer Besonderheit zu werfen.
Liebi Grüessli
Christiane